Tugenden – Auf Spurensuche zu den Anfängen

Tugenden – Auf Spurensuche zu den Anfängen

Online-Treffen zur antiken Tugendethik

Das Virtues Project bietet fünf konkrete Strategien als Werkzeuge, um Tugenden im Alltag umzusetzen. Facilitatoren und Tugendfreunde unterstützen andere Menschen dabei, Tugenden in ihrem Leben, in Familien, Schulen und Gemeinschaften zu kultivieren.

Damit setzt das Virtues Project eine Tradition fort, die wir auch in der antiken Philosophie wiederfinden.

Die antiken Tugendethiker verstanden Philosophie anders als heute. Heute gilt Philosophie vielen als akademische Disziplin und wirkt oft losgelöst von dem wirklichen Leben der Menschen. Das war in der Antike anders. Dort sah sich der Philosoph als Freund (philo) der Weisheit (sophos) – und zwar als Freund der Weisheit in Bezug auf das gute Leben. Viele antike Philosophieschulen waren sich einig, dass der Mensch nach „Glück“ strebt. Dieses „Glück“ nannten sie Eudaimonie. Die Eudaimonie wurde auch als „Wohlfluss des Lebens“ beschrieben. Eine antike Philosophenschule, die eine sehr extreme Position dazu hat, ist der Stoizismus. Zenon von Kition begründete den Stoizismus um 350 v.u.Z. in Athen.

Aus Sicht der Stoiker braucht man für den Wohlfluss des Lebens nicht etwa gute Umstände, auch wenn sie förderlich sind, sondern lediglich einen vortrefflichen Charakter, der mit allen Lebenslagen gekonnt umzugehen weiß. Dieser vortreffliche Charakter ist die Tugend (aretē) des Menschen, die durch die Tugenden gebildet und ausgedrückt wird.

Alle Tugenden haben bei den Stoikern eine praktisch orientierte Konnotation und wurden daher auch als Kunstfertigkeiten gesehen. Die Stoiker kannten neben den Kardinaltugenden Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung auch weitere für das gute Leben zuträgliche Tugenden, wie bspw. Taktgefühl, Gemeinsinn oder Güte. Die Übung der Tugend führt gemäß den Stoikern zur Seelenruhe (ataraxia) und zum Ideal der Leidenschaftslosigkeit (apatheia), woraus sich der heutige Begriff ’stoisch‘ ableitet.

Wie der Schreiner Holz bearbeitet, formt der Philosoph das gute Leben.

Die Werkzeuge für das gute Leben sind die Tugenden, mit denen wir unseren inneren Diamanten schleifen.

Für die Stoiker ist die Charakterbildung sowohl Selbstzweck als auch moralische Pflicht. Sie befähigt uns, Widrigkeiten zu trotzen und unsere Fähigkeiten zum Wohl aller einzusetzen. Meine aretē-Meetups bringen stoische Prinzipien in die Praxis des Alltags. Bei unseren Treffen arbeiten wir gemeinsam daran, moderne und klassische Tugendkonzepte für persönliche Entwicklung zu nutzen. Wir diskutieren Methoden zur Förderung innerer Ruhe, kultivieren praktische Weisheit und reflektieren über die Anwendung stoischer Denkansätze auf moderne Herausforderungen. Egal ob Neuling oder bereits mit stoischen Ideen vertraut – du bist herzlich eingeladen, an den kostenlosen Meetups teilzunehmen.

Ein Beitrag von Ralph Kurz

Das Virtues Project und die Tugenden in der Bodelschwinghschule in Essen

Das Virtues Project und die Tugenden in der Bodelschwinghschule in Essen

Die Essener Bodelschwinghschule ist eine bunte Schule, denn von den 265 Kindern aus über 50 Nationen haben etwa 96 % einen Migrationshintergrund. Die Vielfalt der Kulturen und der damit verbundenen Wertvorstellungen ist für die Lehrkräfte oft eine Herausforderung. Sie legen daher großen Wert auf die Umgangsformen, denn sie sind der Anker für das Leben und Lernen in dieser Schule.

Das Virtues Project / Tugendprojekt ergänzt den Anspruch der Lehrkräfte und das Vorhaben, die Schüler:innen nicht nur zu unterrichten, sondern auch die in ihnen angelegten Stärken und positiven Eigenschaften, ihre inneren Schätze – die Tugenden – hervorzuheben.

Seit September 2024 erhalten die Dritt- und Viertklässler jeweils eine Tugendstunde pro Woche. Die Kinder treffen sich klassenweise jeden Mittwoch laut Stundenplan zur „Tugendstunde“. 

Ina Seidel-Rarreck, Facilitator im Virtues Project, empfängt die Kinder bereits an der Tür und erinnert alle stets an die Tugend der Freundlichkeit, die sich zum Beispiel durch Augenkontakt oder ein kleines Lächeln leicht üben lässt. So fühlen sich die Kinder gleich bei der Begrüßung wertgeschätzt, angenommen und positiv bestärkt.

Alle freuen sich meist sehr auf die Tugendstunde, die zum allergrößten Teil im Sitzkreis zusammen mit der Klassenleitung und manchmal auch anderem Erwachsenenbesuch stattfindet. In der Mitte des Stuhlkreises liegt ein großer pinkfarbener Diamant als Symbol für den Schatz, den jedes Kind in sich trägt. Um den Diamanten herum legt Ina Seidel-Rarreck jede Woche die Tugendkarten mit den bereits erlernten Tugenden.

Jede Woche wird gemeinsam eine neue Tugend erarbeitet, mit allen Sinnen erfahren und durch verschiedene Methoden kennengelernt, z.B. Spiele, Geschichten oder Rollenspiele mit Alltagssituationen.

Jeder neue Tugendbegriff hinterlässt viele Eindrücke bei den Kindern und wird schnell in den eigenen Wortschatz übernommen. Im Laufe der Woche kann dann das neue Tugendwort mit Hilfe der Lehrkräfte in allen möglichen Situationen mit Leben gefüllt und angewendet werden. Hierzu haben die Klassenlehrkräfte und Sozialarbeiter:innen der Schule an einem extra eingerichteten Online-Einführungskurs teilgenommen, bei dem sie die 5 Strategien des Virtues Projects kennengelernt und den Umgang mit ihnen geübt haben. In den zwölf Stunden haben sie sich intensiv damit beschäftigt, was es heißt, eine neue Sprache – nämlich die Tugendsprache – zu lernen, lehrreiche Momente zu erwischen und sie als Helfer zu nutzen, Grenzen zu setzen, achtsam mit sich selbst zu sein und zu reflektieren sowie anderen Menschen eine Begleitung zu schenken.

In den Klassen haben sich bereits einige Tugendbegriffe samt Bedeutung intensiv eingeprägt, z.B. das Wort „Durchhaltevermögen“: Es und wird häufig im Unterricht genutzt oder genannt. Bis zur Einführung dieser Tugend war das lange Wort „Durch-hal-te-ver-mögen“ bei vielen Kindern mit Migrationshintergrund und Förderbedarf im Bereich Deutsch ein ziemlich unbekanntes Wort. Nun wenden diese Kinder dieses Wort aktiv an den richtigen Stellen der Kommunikation an und die Lehrkräfte sind begeistert, wie sprachsensibler Unterricht auch in der Tugendstunde sehr gut platziert werden kann. Durch die vielen praktischen Übungen prägen sich die Kinder die neue Wortbedeutung /eine neue Tugend noch intensiver ein und die Tugend wird in ihnen aktiviert. So gaben die Tugendstunden zu „Vertrauen“ und „Mut“ den Kindern viel Hoffnung und Selbstvertrauen.

Nach den Tugendstunden verlassen die Kinder meist sehr beschwingt und mit Leichtigkeit den Raum und verabschieden sich bei Ina Seidel-Rarreck z.B. mit den Worten „Ich freue mich schon auf die nächste Tugendstunde mit dir“.

Autorinnen: Schulleiterin Hanne Herz-Höhnke und Ina Seidel-Rarreck

Ein Fazit zum Tugendprojekt an der Bodelschwinghschule von der Schulleiterin Hannelore Herz-Höhnke:

Dort, wo Kinder leben und unterrichtet werden, denen nicht nur schlechte Leistungen anhaften, sondern darüber hinaus auch noch schlechtes Benehmen, legt man besonderen Wert auf gutes Benehmen, Pünktlichkeit, Höflichkeit und Sauberkeit, auf das Einhalten und den Erwerb von Tugenden.
Fehlt es dagegen an Tugenden wie Höflichkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit oder sportlicher Fairness, sind Konflikte vorprogrammiert und ist schlechtes Benehmen nicht weit. An der Bodelschwinghschule profitieren wir alle davon, wenn Tugenden gelebt und öfter an den Tag gelegt werden. Dies hat auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun, denn wenn die nächsten Generationen keine Kompetenzen für friedliche Zusammenarbeit erlernen, ist auch die Demokratie in Gefahr.

Wenn wir uns also um die Vermittlung von Tugenden in Schule und Unterricht bemühen, bemühen sich Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler um die Qualität ihres eigenen Lebens- und Arbeitsraumes.

Tugend leitet sich von dem Wort „Taugen“ ab, was auf die Nützlichkeit oder die positiven Eigenschaften eines Menschen hinweist. Diese Eigenschaften manifestieren sich in einer vorbildlichen Haltung, die als Maßstab für gutes und ethischen Verhalten in einer Gesellschaft dienen soll.