Tugenddetektive unterwegs – „WIRklICH klasse!“  in Trierer Schulen

Ein Beitrag von Sandra Rouhi

Im März 2023 war es soweit: der erste Tugenddetektiv-Einsatz in einer Trierer Grundschule stand an. Ich stand vor einer Klasse Erstklässler und war unglaublich aufgeregt: geht das Konzept auf, mit  Schulklassen Tugendarbeit zu machen? Sind die Strukturen in Schule und Klassenverbänden nicht zu fest gefahren, um mit diesem Ansatz tatsächlich etwas zu bewirken? So überzeugt ich von dem Tugendansatz bin, so sehr zweifle ich am System Schule. Als Spiel- und Theaterpädagogin habe ich mir ganz bewusst die außerschulische Bildung ausgesucht. Und nun stand ich genau da. Wie war ich nur da hin gekommen?

Tatsächlich hatte mich im Herbst 2022 eine Mitarbeiterin des Jugendamtes angesprochen. Sie hat den Tugendansatz und dessen Wirkung  durch meine Elternarbeit mitbekommen und war als Mutter verzweifelt über die Situation der Kinder in den Schulen. Sie bat mich ganz konkret, ein Schulklassenprogramm zu entwickeln, das in den Schulen das Miteinander und den Zusammenhalt wieder stärkt. Sie hat einen Fördertopf für Familienbildung, daraus könnten die Programme bezahlt werden.

Also machte ich mich ans Konzept, überglücklich, diesen wunderbaren Ansatz über ganze Klassen und Schulen verbreiten zu dürfen. Und es entstand das Projekt „WIRklICH klasse“. Im Titel steckt alles wichtige: ein WIR, ein ICH und eine Klasse die klasse ist.

Die Idee war, von Anfang an die Erwachsenen mit zu schulen.
So entstand ein dreiteiliger Aufbau:

  1. Fachkräfteschulung: in einer anderthalbstündigen Schulung werden die Lehrkräfte im Tugendansatz gebrieft,  mit Fokus auf Strategie 1 „die Sprache der Tugenden sprechen“.
  2. Elternabend: dasselbe gibt es in angepasster Form nochmal für alle Eltern. Gleichzeitig wird ihnen das Projekt vorgestellt und sie werden gebeten, uns zu unterstützen, indem Sie die Tugendsprache ab sofort auch zu Hause einführen :o)
  3. Klasseneinsätze: drei Mal anderthalb Stunden arbeiten wir mit der Klasse über drei Wochen hinweg. Im Anschluss daran gibt es eine Evaluation mit den Fachkräften.

Als Spiel- und Theaterpädagogin überlegte ich mir erst einmal eine Rolle: die Rolle der Tugenddetektivin. Was macht ein Detektiv? Er kann die kleinsten Spuren lesen und zuordnen. Er kann verlorene Sachen wieder finden. Er kann beobachten, verfolgen, kombinieren. Genau das ist mein Job, und mein Spezialgebiet sind die TUGENDEN!
Als Tugenddetektivin stelle ich mich also der Klasse beim ersten Einsatz vor und beweise mein Können mit einer Edelsteinrunde. Jedes Kind bekommt einen Edelstein und direkt eine spontane Tugendrückmeldung von mir. So hat jedes Kind direkt drei Tugenden auf seinem Edelstein stehen. Und dann frage  ich die Klasse, ob sie von mir auch ausgebildet werden wollen und es startet die dreistufige Ausbildung zum Tugenddetektiv.
Im ersten Modul bauen wir unsere detektivischen Fähigkeiten aus und benennen sie mit Tugenden.
Im zweiten Modul geht es konkret um die Tugend der Zusammenarbeit und alle damit verbundenen Tugenden.
Im letzten Modul geht es um Gefühle und Ermutigung und dabei zeigt die Klasse ihre erworbenen Fähigkeiten in der Tugenddusche für jedes Kind. Ein Zertifikat wird überreicht mit der Auflage, seine Fähigkeiten täglich zu üben und damit Frieden und Zusammenarbeit in die Welt zu bringen.
Der übervolle Edelstein darf nach Abschluss des Projektes stolz mit nach Hause genommen werden.

So der Plan.

Und nun stehe ich also hier, von einer Lehrerin gebucht, die in ihrer Klasse verzweifelt und es ist tatsächlich ziemliches Chaos.
Durchatmen, los geht es. Ich packe meine Detektiv-Utensilien aus dem Koffer,: Lupe, rosarote Brille, Riesenohren, die Pipeline, ein Tau…stelle mich vor, verteile die Edelsteine, gebe jedem Kind Rückmeldung – all das klappt wunderbar, da ich als Gast noch „Welpenschutz“ habe UND DANN, weil sie spüren, was der Ansatz bewirkt!

Ich sage also: „Nun wisst ihr, wie ich arbeite: ich kann kleinste Spuren von Tugenden entdecken und zuordnen, ich kann helfen, verlorene Tugenden wieder zu finden. Was denkt ihr denn, wozu ist meine Arbeit gut?“ Und schon sind wir mitten drin im schönsten Gespräch „man fühlt sich ganz stark“, „du machst traurige Menschen wieder froh“, „man glaubt wieder mehr an sich“ sind Antworten der Kinder. Und meine Frage „möchtet ihr auch ausgebildet werden?“ Wird mit einem lauten „JAAAA“ beantwortet.

Und ab da läuft es einfach – okay, nicht immer einfach – aber es funktioniert:

  • die Kinder lieben es, sich mit den Tugenden auseinander zu setzen!
  • sie lieben den Fokus auf das Gute
  • sie lauschen mit Ruhe und Hingabe den Geschichten
  • sie lieben die aktiven Spiele und Methoden
  • in vielen Klassen kommt es zu tiefen Gesprächen
  • sie überzeugen oft ihre Lehrer davon, wie viel Freude die Tugendarbeit macht
  • in der letzten Stunde sammeln wir alle Tugenden, die die Klasse inzwischen kennt, an der Tafel: es sind immer weit über 30!

Inzwischen haben wir auch eine Idee für die Tafel gefunden, um zu erklären, was Tugenden sind:
  T olle
  U nsichtbare
  G ute
  E igenschaften
i N
D ir

Alle Kinder kommen mit der Zeit darauf, dass Tugenden aber „sichtbar werden, wenn man sie benutzt“ (O-Ton einer Schülerin).

Von März bis Dezember 23 wurde WIRklICH klasse in 18 Schulklassen, einer Hortgruppe und drei Kindergartengruppen durchgeführt. Es fanden 9 Elternabende und Teamschulungen als Einführung in den Tugendansatz und stärkenorientierte Erziehung statt. 370 Kinder, über 250 Elternhäuser und ca. 30 LehrerInnen und Schulsozialarbeiterinnen wurden so mit diesem Ansatz vertraut gemacht. Der Andrang war noch viel höher: mehr als doppelt so viele Schulen hatten sich bei uns gemeldet, konnten aber noch nicht besucht werden.
Im Sommer 23 konnte ich eine Mitarbeiterin gewinnen, die mehrmals hospitierte, ein zweitägiges Tugendseminar bei mir absolvierte und dann ab Herbst mit in die Schulen gehen konnte. So konnten wir mehr Klassen besuchen, aber noch lange nicht alle.

Leider sind die Mittel aus dem erwähnten Fördertopf jedes Jahr schon zu den Sommerferien erschöpft, weil keiner mit diesem Andrang gerechnet hat. Im zweiten Halbjahr können wir das Programm immer nur für Selbstzahler anbieten.
Momentan suchen wir also nach alternativen, langfristigen Fördermöglichkeiten und nach Alternativen, den Tugendansatz in die Schulen zu bringen.

So haben wir dieses Jahr damit begonnen, neben unseren Einsätzen in Schulen und Horten auch Schulsozialarbeiterinnen direkt im Tugendansatz auszubilden. Wir haben drei Materialkoffer für den Tugendeinsatz in Schulen entwickelt, die die Schusos nutzen können, wenn Sie Tugendstunden anbieten möchten. So kommen aktuell drei Trierer Schulen in den Genuss, wöchentliche Tugendstunden mit ihren Schulsozialarbeiterinnen zu bekommen.

Um sie zu unterstützen, aber auch um Lehrer zu animieren den Ansatz langfristig anzuwenden, haben wir die Hoempage „wirklichklasse.de“ entwickelt. Mit Methoden, Anregungen und auch Geschichten zu den Tugenden. Zugriff bekommt man über ein Passwort, das alle Fachkräfte bekommen, wenn Sie eine Schulung bei uns hatten.
Ich verrate es hier auch:3BohnenGraefin. Hä? 3 was?

Die Geschichte der Gräfin mit den drei Bohnen bildet bei Lehrern, Eltern und Kindern das Ende des ersten Treffens. Dazu schenke ich allen Teilnehmenden drei Bohnen und gebe ihnen den Auftrag, jeden Tag drei Dinge zu benennen, für die sie dankbar sind. Die Klasse bekommt diese Übung als allerersten Detektiv-Auftrag, den ich eine Woche später abfrage. So ist der Lehrer auch in „Zugzwang“ die Dankbarkeitsmethode anzuwenden und den Blick auf das Gute zu schärfen.
Eltern bekommen den Auftrag, jeden Tag drei Tugenden ihrer Kinder zu benennen, am besten direkt im Gespräch mit ihren Kindern.
So zieht sich die Geschichte der glücklichen Gräfin durch alle Teile des Programms und bietet direkt einen praktischen Ansatz, die Tugend der Dankbarkeit und Wertschätzung zu kultivieren. 
Und das ist die Grundlage für Ermutigung und Befähigung, die Pfeiler, auf denen unsere Welt aufgebaut sein sollte.

Wir werden stets zu herausfordernden Klassen gerufen. Meine Frage „wisst ihr, warum ich gerade bei euch bin“ beantworten sie meistens mit „weil wir so laut sind“ oder „weil wir das noch nicht können“. Meine Antwort ist dann „Nein, weil mir gesagt wurde, dass hier kreative, offene und mutige Kinder sind. Genau euch brauche ich für die Ausbildung und genau euch braucht die Welt, um wieder friedlicher und achtsamer miteinander umzugehen.“
Es senkt sich dann immer eine tiefe, glücklich-staunenden Ruhe über die Klasse.
Wenn ich diesen Satz bei den Elternabenden sage, haben die Eltern Tränen in den Augen.
Dabei ist es doch einfach nur die Wahrheit – und alle dürfen lernen, sie zu sehen! Schön, oder?

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